30.3.11

Traurige Kindheit????

Eben las ich bei Tilli, wie traurig sie ihre Kindheit fand... zum erstenmal seit langem dachte ich an meine eigene Kindheit und wie sie doch mein Verhalten lebenslang beeinflusst hat. Meine Kindheit fand rund zwanzig Jahre vor Tilli's statt (bis Anfang der 60er Jahre), und sicherlich wurden die Kinder zu der Zeit noch ganz  anders erzogen, oder meine Mutter tat eben nur das, was ebenfalls das Resultat ihrer eigenen furchtbaren Kindheit war (zu lesen auf meiner Seite 'Tod einer alten Dame'). Hinzu kam, dass wir wirklich arm waren... einmal die Woche gab es Fleisch, ansonsten ernährte uns unser Garten. Montags gab es immer Eintopf (der dienstags aufgewärmt wurde), denn am Montag musste meine Mutter waschen... ohne Waschmaschine, in einem Kübel, der mit Holz und Kohle beheizt wurde. Unser fliessendes Wasser kam aus der Pumpe in der Küche, das Klo war ein Plumpsklo im Schuppen draussen. Gekocht wurde ebenfalls auf einem Kohlenherd. Im 'Wohnzimmer' (in dem auch meine Schwester und ich schliefen) gab es einen Kachelofen als Heizung (der hatte oben ein kleines Fach mit Tür, das uns herrliche Bratäpfel bescherte... immer noch kann ich mich an den wunderbaren Geschmack erinnern). Einen Bonbon gab es nur, wenn wir unsere Kalktabletten gelutscht hatten (auch an diesen furchtbaren mehligen Geschmack kann ich mich noch erinnern). Wir wohnten ausserhalb eines (damals kleinen) Dorfes in Schleswig-Holstein... das nächste Haus war weit weg. Kinder zum Spielen hatte ich nie. Meine Schwester war viereinhalb Jahre jünger, auf sie musste ich aufpassen, denn Mutti hatte immer im Garten zu tun, oder sass an der Strickmaschine, um mit den Pullis ein paar Mark zu verdienen. Wenn meine Schwester etwas anstellte, bekam ich die Schläge, weil ich nicht auf sie aufgepasst hatte. Papa fuhr zur See und kam höchstens einmal im Jahr nur für ein paar Tage nachhause (bevor er - wie ich viel später erfuhr - die restliche Zeit seines Urlaubs mit der jeweiligen Freundin verbrachte). Es war schön, wenn er da war, denn er erzählte uns wunderbare Geschichten, bevor wir einschliefen. Papa haute mich nie und er war auch der Einzige, der mir ab und zu einen Kuss auf die Stirn gab.. meine Mutter hat mich nie geküsst, nicht einmal einen kleinen Kuss. Das höchste der Gefühle war eine kurze Umarmung (Wange an Wange) wenn ich sie als Erwachsene mal alle paar Jahre besuchte (mit 17 ging ich ins Ausland). 
Meine Schule befand sich im Nachbardorf, drei Kilometer entfernt. Schon mit sieben Jahren fuhr ich die Strecke zweimal am Tag hin und zurück auf dem Fahrrad. Ganz allein, bei jedem Wetter, und ich kann mich erinnern, dass ich mir dabei die Zeit vertrieb, indem ich mir Hörspiele ausdachte und alle Rollen laut sprach. 
Schläge bekam ich praktisch täglich... mit dem Teppichklopfer auf den Po und mit der Hand ins Gesicht. Gründe gab es genug.. es reichte, wenn ich nicht aufgeräumt hatte, mal Nein sagte, oder wenn ich eine Klassenarbeit verhauen hatte. Eine furchtbare Tracht Prügel bekam ich, als ich ein Zeugnis nachhause brachte, in dem stand 'G. benimmt sich blasiert', was immer das auch heissen sollte. Dabei war ich nur schüchtern und ängstlich, denn damals hauten auch die Lehrer. Ich wurde als Linkshänder geboren, schreibe aber mit rechts, weil mich in der ersten Klasse der Lehrer jedesmal mit dem Stock auf die linke Hand  schlug, wenn ich mit ihr schreiben wollte. 
Geschenke?? Ich kann mich nur daran erinnern, dass meine Puppen zu Weihnachten neue Kleider bekamen und ab und zu gab es ein Buch. Das war alles. Und Schokolade, aber nur eine halbe Tafel für meine Schwester und mich und nur zu Weihnachten.
Geimpft war ich nur gegen Pocken und Kinderlähmung. Ich hatte alle Kinderkrankheiten, die man nur haben kann (Keuchhusten, Masern, Windpocken, Mumps und alle paar Monate eine Mandelentzündung), aber ein Arzt kam nie. Meine Mutter kurierte die Krankheiten mit Schwitzen aus, sie handelte nach dem Prinzip 'was nicht umbringt, macht stark'. Sie hatte wohl recht, denn richtig krank war ich nach meiner Kindheit nicht mehr (und die Mandeln habe ich auch noch), toitoitoi. 
In den Sommerferien fuhr ich (ganz allein mit dem Zug, seitdem ich neun Jahre alt war) zu meinen Grosseltern in Niedersachsen. Bis ich zwölf war, war es schön dort. Dort hatte ich Kinder zum spielen und mein Onkel war Bademeister in der dörflichen Badeanstalt, also musste ich nichts bezahlen. Mit zwölf bekam ich dort auch meine Tage. Ich wusste, was das Blut bedeutete (aufgeklärt hatten mich die Mädchen in der Schule, nicht meine Mutter), schämte mich aber, es meiner Oma oder meinen Tanten zu sagen. Also suchte ich mir jede Menge Flicken aus dem Abfallkorb meiner Tante (sie war Schneiderin) und hatte Angst mich zu bewegen, weil sie vielleicht herausfallen könnten. Zu der Zeit begannen sich auch die Jungen im Dorf meiner Grosseltern für mich zu interessieren... leider. Denn als ich einmal auf dem Balkon stand, fuhr ein Junge auf dem Fahrrad vorbei und winkte mir zu. Mein Opa sah das und schrie, ich sollte sofort in die Küche kommen... dort verprügelte er mich mit seinem Ledergürtel und Oma fand das richtig, denn sie sagte wortwörtlich 'Wenn du so weitermachst, schiebst du bald einen Kinderwagen!' Am nächsten Tag fuhr mein Opa mit mir zurück nachhause und erzählte meiner Mutter, was für ein 'verdorbenes Stück' ich doch wäre (Meinen ersten Kuss bekam ich erst mit fünfzehn, also kann man sich wohl vorstellen, was mein Opa unter 'verdorben' verstand... der 13-jährige Junge, der mir zugewinkt hatte, war einer, mit dem ich in der Badeanstalt mal gesprochen hatte.. ganz unschuldig natürlich). Mutti verhaute mich also noch einmal.
Ich will Euch hier nicht mit der Schilderung meines ganzen Lebens langweilen, es geht mir nur darum, dass mir wieder einmal bewusst wurde, wie doch die Kindheit das Verhalten des ganzen Lebens beeinflusst. Als Kind war ich immer allein und lernte, mit mir allein genug zu haben. Genau wie heute. Meine vielen Beziehungen gingen alle in die Brüche, weil ich mir immer Männer aussuchte, die 'hart zu haben' waren.. wenn ich ihn dann aber doch 'eingefangen' hatte und er  lieb und nett wurde und sagte, dass er mich liebte, fand ich ihn langweilig und machte Schluss. Ich habe zig Bücher gelesen, um herauszufinden, warum ich so bin und erfuhr dann auch den Grund, der allerdings ein wenig kompliziert ist, um ihn in wenige Worte zu fassen. Ungefähr ist es so, dass ja die Eltern, diejenigen sind, die uns (theoretisch) am meisten lieben. Wenn aber diese 'Liebe' (wie in meinem Fall) aus Abweisung und Prügeln besteht, sucht man nach einem Partner, der auch nicht gerade lieb ist, um ihn dann zu ändern (wie man als Kind wohl auch am liebsten seine Eltern geändert hätte), wenn aber diese Änderung eingetreten ist, man also sein Ziel erreicht hat, wird es langweilig und das nächste 'Opfer' wird gesucht. In anderen Worten, ich bin vollkommen beziehungsunfähig, dank meiner Kindheit.
Das wollte ich mal loswerden.

11 Kommentare:

Tilli hat gesagt…

Hups, ganz so ernst war das "traurig" nicht gemeint, ich neige manchmal zu Übertreibungen. Obwohl ich damals dachte, alle anderen hätten es besser als ich, aber inzwischen hab ich mich längst mit meiner "Armut" ausgesöhnt, war ja auch zu was gut!

Greta hat gesagt…

Tilli, bitte versteh jetzt meinen Beitrag nicht falsch, ich wollte damit auf keinen Fall sagen, dass meine Kindheit trauriger als deine war... nein, bloss als ich bei Dir las, erinnerte ich mich plötzlich (normalerweise verdränge ich solche Gedanken) an meine eigene Kindheit und ich schrieb los.
Ich wünsche Dir ausserdem auch weiterhin ganz viel Glück mit Deiner neuen/alten Liebe..:-))

Tilli hat gesagt…

Danke!

Traudi hat gesagt…

Liebe Greta,
als ich vor kurzem einige alte Fotos aus meiner Kindheit von meinem Onkel bekam, die ich noch gar nicht kannte, kamen einige Erinnerungen auf.
Abgesehen davon, dass wir auch nicht viel Geld hatten und ich auf vieles verzichten musste, hatte ich eigentlich eine schöne Kindheit, obwohl ich Parallelen zu deinen Erinnerungen erkennen kann.

Viele liebe Grüße
Traudi

Hella hat gesagt…

Fast so ähnlich ,aber auch wiederum anders erging es mir.Ärmliche Verhältnisse,4 Geschwister,Mutter dominant,und wenn du funktioniert hast war man ein gutes Kind.Ich denke das mich das sehr geprägt hat. Heute mit 58 Jahren gehe ich es endlich an und versuche mit schlauen Büchern mich selbst besser zu verstehen. Vielleicht kann ich noch etwas an und in meinem Leben ändern.
Ich wünsche dir noch eine schöne Woche LG Hella

Greta hat gesagt…

Hella, es ist nie zu spät. Ich hatte ja die Gelegenheit durch meine Pensionierung ein völlig neues Leben zu beginnen. Ich sah ein, dass ich eben bin wie ich bin und dass es mir allein am besten geht. Also zog ich fort aus meinem alten Leben in eine Stadt, die ich kaum kannte und wo ich auch niemanden kannte. Ab und zu fühle ich mich zwar etwas einsam, aber dann erinnere ich mich daran, dass ich es ja so wollte. Zurück in mein altes Leben?? Auf keinen Fall!!
Auch Dir ganz liebe Grüsse
Greta

pinkpaillette hat gesagt…

Liebe Greta
ich hätte noch stundenlang weiterlesen können. Langweilig ist es auf keinen Fall. Du solltest ein Buch schreiben. Es tut mir so leid, dass es so viele so schwer hatten! Oder auch heute noch schwer haben.
Herzliche Grüsse, colette

Greta hat gesagt…

Guten Morgen, Colette, danke für Deine lieben Worte.

Liebe Grüsse,
Greta

Hella hat gesagt…

Pinkpailette hat recht; man sollte ein Buch schreiben und sei es nur für sich selbst ; erst gestern am späten Abend habe ich mir überlegt mal anfangen zu schreiben was mir so einfällt und dann erst danach tiefergreifend aufzuschreiben .Vielleicht kann man da auch einiges verarbeiten; bis zu meiner Rente sind es noch einige Jährchen wobei ich schon 44 Arbeitsjahre auf dem Buckel habe .Mit 63 ist aber definitiv Schluss für mich , also in 4,5 Jahren und dann aber hoffentlich so, daß ich keine Abzüge bekomme. Mal schauen wie ich das hinbekomme.
ich wünsche dir noch eine schöne Woche und bei uns wird es am WE 25 grad warm...das ist doch toll :-) LG Hella

Greta hat gesagt…

Ja, Hella, sicherlich können wir alles besser verarbeiten, wenn wir es aufschreiben, aber (da Du mich ja von meinem früheren Blog kennst, weisst Du es..) bisher ist es mir nicht möglich gewesen, aufzuschreiben, wie es war, als mir mein Exmann die Kinder wegnahm. Noch heute verdränge ich die Erinnerungen daran, denn sonst würde ich sofort wie ein heulendes Elend dasitzen... nach fast dreissig Jahren. Dieser Kummer geht nie vorbei.. Jede Frau die Kinder hat, wird mich sicherlich verstehen. Also, ich weiss nicht, ob ich das jemals aufschreiben kann...
Hier ist es heute auch herrlich, ich habe den ganzen Morgen auf dem Balkon gesessen und gemalt... das sind die Momente in denen ich richtig glücklich bin.
Ein wunderschönes Wochenende mit ganz viel Sonne wünsche ich Dir.
Deine G.

Hella hat gesagt…

Dankeschön liebe Greta ,ein schönes sonniges Wochenende hatte ich wirklich.Ich hatte früher auch immer Angst ,daß der Vater meines Sohnes(Serbe) den Jungen abholen will und er wäre dann verschwunden .Aber so ist *nur* der Vater verschwunden und erst im letzten Jahr nach 33 Jahren habe ich ihn wieder gefunden. Im letzten Jahr haben sich dann Vater und Sohn kennen gelernt.
Ja, es gibt viele Geschichten die man zu verarbeiten hat und manche vergisst man nie. Schön das es dir zwischenzeitlich so gut geht und du Kontakt zu deinen Kindern und zu den süssen Enkelkindern hast :-) Ich wünsche dir noch eine schöne Woche LG Hella